Klaus-Dieter Hommel kritisiert die aktuelle Lage bei DB Cargo

Klaus-Dieter Hommel kritisiert die aktuelle Lage bei DB Cargo

Wir haben ein exklusives Interview mit Klaus-Dieter Hommel, dem ehemaligen Vorsitzenden der EVG, zur aktuellen Lage bei DB Cargo geführt. Als erfahrener Gewerkschafter und nun im Ruhestand, spricht Hommel offen und unverblümt über den Güterverkehrssektor der Deutschen Bahn.

Sie waren jahrelang, zuletzt als Vorsitzender, in der Gewerkschaft EVG tätig. Wie gestaltet sich Ihr Alltag nun im Ruhestand?

Jedem ist klar, dass der Ruhestand irgendwann kommt. Und plötzlich ist er da. Das war bei mir nicht anders. Natürlich hat sich mein Alltag verändert. Die Umstellung war für meine Frau sicher größer als für mich. In der Zwischenzeit läuft alles wieder in geordneten Bahnen. Ich kann mich über Beschäftigungsmangel nicht beklagen. Die Bahn, die EVG und meine Frau sorgen immer für ausreichend Bewegung.

Es wird humorvoll behauptet, dass viele Ruheständler eine Vorliebe für Mini-Golf entwickeln. Ist da etwas Wahres dran??

Ich spiele weder Golf noch Mini-Golf und habe das in Zukunft auch nicht vor.

Herr Hommel, wenn Sie auf Ihre Zeit in der Gewerkschaftsarbeit zurückblicken, welche Erinnerungen bleiben Ihnen besonders in Erinnerung?

In der DDR war Gewerkschaftsarbeit staatlich organisiert. In dieser Zeit war ich nicht aktiv, sondern in verschiedenen Funktionen bei der Deutschen Reichsbahn tätig. Nach dem Mauerfall etablierten sich die Gewerkschaften der Deutschen Bundesbahn auch im Osten, und vorerst „eigenständige“ (Ost-)Gewerkschaften – unterstützt von der GdED, der GDBA und der GDL – wurden auch bei der Deutschen Reichsbahn gegründet. Die Zusammenschlüsse mit den Westgewerkschaften waren bereits zum Zeitpunkt ihrer Gründung geplant. Ich wurde Vorsitzender der GDBA (Ost) und dann im November 1990 stellvertretender Bundesvorsitzender der GDBA.

Der zu dieser Zeit im Westen übliche Konkurrenzkampf zwischen den einzelnen Gewerkschaften wurde sehr schnell auch auf den Osten übertragen. Auch ich musste lernen, damit umzugehen. Weil ich mich in der GDBA (einer DBB-Gewerkschaft) engagierte, fand ich eines Tages mein Bild auf einem Aushang der GdED mit der Unterschrift „Verräter“ wieder. Wen ich verraten haben sollte, ist bis heute nicht bekannt.

Hätte mir zu diesem Zeitpunkt jemand gesagt: „Du wirst mal als Vorsitzender einer aus TRANSNET und GDBA neu gegründeten EVG in Rente gehen“, hätte ich ihn bestimmt ausgelacht oder gar für verrückt erklärt. Doch tatsächlich war ich bereits damals davon überzeugt, dass gewerkschaftlicher Zwist nur den Arbeitgebern und der Politik nutzt. Drei „Hausgewerkschaften“ in einem Unternehmen waren weder notwendig noch sinnvoll. Erschwerend kam die Zugehörigkeit zu den unterschiedlichen Dachverbänden DGB und DBB hinzu.

Heute bin ich sehr stolz darauf, maßgeblich an der Gründung der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) mitgewirkt zu haben. Sie ist bekanntlich im Jahr 2010 aus dem Zusammenschluss von TRANSNET und Verkehrsgewerkschaft GDBA entstanden. Ein solcher Zusammenschluss von Gewerkschaften unterschiedlicher Dachverbände war und ist bisher in Deutschland einmalig. Heute gibt es kaum noch ein Mitglied in der EVG, das diesen Schritt für falsch halten würde.

Wie bewerten Sie persönlich die aktuelle Situation von DB Cargo? Was sind Ihrer Meinung nach die Ursachen und was muss Ihrer Ansicht nach getan werden, um DB Cargo zu retten?

Kein Unternehmen der Deutschen Bahn AG kann für sich allein betrachtet werden. Es gibt nur sehr wenige Unternehmen, die so komplex sind wie die Bahn. Leider vergessen besonders Politiker diese Tatsache sehr gern, wenn sie sich wieder einmal über „die schlechte Bahn ärgern“ und dann fordern, sie solle nun endlich zerschlagen werden. Der Bund als Eigentümer hat bis heute die Frage: „Welche Bahn will man in Deutschland haben?“ nicht beantwortet.

Und noch eine Bemerkung vorweg: Immer wieder wird gefragt: „Wer ist denn schuld an der aktuellen Situation?“ Natürlich sind es immer die anderen. Nein! Die Verantwortungen und damit die „Schuldfrage“ sind geklärt: Für die wirtschaftliche Situation einer Firma sind ausschließlich Vorstand, Aufsichtsrat und ggf. der Eigentümer verantwortlich. Dabei bin ich mir auch über meine eigene Verantwortung im Zuge meiner Tätigkeit in verschiedenen Aufsichtsräten des Bahnkonzerns im Klaren. Auch als Gewerkschaftsvertreter hätte ich die Themen sicher noch intensiver ansprechen und Missstände aufdecken müssen.

Zum Thema Güterverkehr und speziell der DB Cargo AG: Zum Zeitpunkt der deutschen Wiedervereinigung waren die Deutsche Bundesbahn und die Deutsche Reichsbahn in einem schlechten Zustand. Auf einer schon damals maroden Infrastruktur konnten die Leistungen nicht in der notwendigen Quantität und Qualität erbracht werden. Für beide deutschen Bahnen waren insgesamt 34 Milliarden DM Schulden aufgelaufen. Die Bundesregierung war entschlossen, die erneut geplante Reform durchzuführen. Mit der Gründung der Deutschen Bahn AG 1994 wurden Gesamtschulden von etwa 17 Mrd. Euro durch das BEV übernommen.

Für die Bahnreform wurde mit dem Slogan „Mehr Verkehr auf die Schiene“ geworben und damit Sinn und Ziel dieser Reform recht gut beschrieben. Bis heute konnten die Ziele nicht erreicht werden. Die Leistungen der Bahn sind zwar insgesamt angestiegen, doch auf einem maroden Streckennetz und in schlecht organisierten Unternehmen wurde die Qualität immer schlechter.

Heute sind Beschäftigte und auch Führungskräfte demotiviert und glauben nicht mehr an den Erfolg ihres Unternehmens. Die Bahn steht in der Öffentlichkeit für Unpünktlichkeit und Unzuverlässigkeit. Vorstände und Eigentümer haben diese Entwicklung über viele Jahre schöngeredet und immer wieder Besserung versprochen.

Der Kollaps im Güterverkehr ist seit Jahren vorhersehbar und hausgemacht. Die immer wieder abgegebenen Begründungen sind Ausreden, die massives Vorstandversagen verschleiern sollen. Der Vorstand der DB Cargo AG hat unter der Führung von Frau Dr. Nikutta bisher mehr als 2 Mrd. Euro Verlust eingefahren. Dieses Ergebnis sagt alles.

Der Güterverkehr der Deutschen Bahn AG braucht ein neues Geschäftsmodell und einen neuen Vorstand. Der Verkauf der DB Schenker AG darf nicht stattfinden! Der Kauf von Stinnes (später dann DB Schenker AG) im Jahr 2002 wurde als Durchbruch für den Güterverkehr der Deutschen Bahn AG gefeiert. Seit mehr als 20 Jahren hat es der Vorstand der Deutschen Bahn nicht geschafft, die Synergien zwischen Cargo und Schenker zu nutzen und so ein schlagkräftiges Unternehmen im Güterverkehr zu schaffen. Das muss jetzt dringend geschehen.

Wie bewerten Sie persönlich die aktuelle Rolle der EVG in der Krise um DB Cargo? Wird aus Ihrer Sicht genug unternommen oder sehen Sie Verbesserungspotenzial?

EVG und Betriebsräte warnen seit Jahren vor der jetzt eingetretenen Situation bei DB Cargo. Was jetzt passiert, kommt für niemanden überraschend. Alle Ausreden über vermeintliche Ursachen haben wir schon gehört. Die EVG versucht jetzt in einer Notoperation, Arbeitsplätze zu retten. Die vom Vorstand geforderten Mehrbelastungen für die Beschäftigten sind aber nicht mehr zumutbar. Damit wird dauerhaft weder das Unternehmen gerettet noch die Arbeitsplätze.

An dieser Stelle appelliere ich an alle Betriebsräte und Gewerkschaften, den integrierten Konzern und die tariflichen Regelungen des konzernweiten Arbeitsmarktes nicht aufs Spiel zu setzen. Nur dadurch werden Kolleginnen und Kollegen vor Arbeitsplatzverlust geschützt.

Wie würden Sie Ihre Beziehung zum aktuellen EVG-Vorstand beschreiben? Haben Sie noch persönlichen Kontakt?

Auch im Ruhestand bin ich Teil der EVG-Familie. Dazu gehören auch viele persönliche Kontakte. Und ich beteilige mich natürlich auch an der Diskussion über die aktuellen Themen.

Können Ihrer Meinung nach die aktuellen Maßnahmen die DB Cargo AG retten?

Diese Frage wird auch in den sozialen Netzwerken heftig diskutiert. Meine klare Antwort lautet: Nein!

Neben vielen bereits genannten Punkten gilt: Für die schlechte wirtschaftliche Situation der DB Cargo AG ist die Produktivität der Lokführer schon viele Jahre ein Thema. Doch dafür sind nicht die Kolleginnen und Kollegen verantwortlich, sondern das Unternehmen selbst. Es ist die Unfähigkeit, die eigenen Prozesse zu beherrschen. Wenn die Zahlen stimmen und nicht noch dramatischer sind, dann ist eine Kollegin oder ein Kollege auf der Lok in einer 8-Stunden-Schicht nicht mal 2 Stunden produktiv unterwegs.

Man muss nicht Betriebswirtschaft studiert haben, um zu bemerken, dass dieser Zustand unhaltbar ist. Das Thema ist also nicht neu. Alle Versuche, dies in der Vergangenheit zu ändern, sind fehlgeschlagen. Das sogenannte „Langfahren“ soll jetzt die Produktivität deutlich steigern. Dazu müsste die gesamte Produktion des Güterverkehrs neu organisiert werden. Mit einer funktionierenden und belastbaren Infrastruktur muss dazu auch im Güterverkehr eine hohe Qualität erreicht werden. Das bedeutet Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit. Um auch an dieser Stelle sehr deutlich zu sagen: Die jetzt propagierten Eckpunkte sind der berüchtigte alte Wein in neuen Schläuchen und lenken nur vom Thema ab.

Wie schon so oft verspricht der Vorstand eine Lösung in der Zukunft, die dann nicht eintritt. Die geplanten Maßnahmen selbst werden weit weniger Personal einsparen als angekündigt. Das gilt auch für den Overhead. Denn jede neue Struktur muss aufgebaut und organisiert werden und schafft neue Schnittstellen.

Wirklich problematisch für die Zukunft der Beschäftigten im Güterverkehr wird es, wenn die Deutsche Bahn AG weitere Transporte an Wettbewerber auf der Schiene und auf der Straße verliert. Das Problem ist absehbar, und deshalb geht es jetzt darum, den Güterverkehr wirklich neu und nachhaltig zu organisieren.

Es gibt Spekulationen, dass die Politik schrittweise die Bahn zerschlagen will. Ist dies reine Spekulation oder steckt ihrer Meinung nach Wahrheit dahinter?

Dies ist leider kein Gerücht, sondern ein Fakt. Die Zerschlagung hat schon begonnen. Die Gründung der DBInfraGO ist völlig nutzlos und hätte nie stattfinden dürfen. Doch sie musste gegründet werden, weil man damit einen weiteren Schritt zur Abtrennung der Infrastruktur vom Transport vorbereitet. Auch der Verkauf von Schenker zahlt auf eine mögliche Zerschlagung ein. Vor und nach der letzten Bundestagswahl konnten wir ein Bekenntnis der Koalition zum integrierten Konzern noch erreichen. Nach der nächsten Wahl wird dies nur erreichbar sein, wenn alle Beschäftigten, Betriebsräte und Gewerkschaften die Politik gemeinsam daran hindern, den Konzern zu zerschlagen!

Hätten Sie sich persönlich von der Politik mehr Engagement für DB Cargo gewünscht?

Natürlich, auch in Brüssel hätte die Bundesregierung die Interessen der Bahn in Deutschland aktiver unterstützen müssen. Jeder Eigentümer muss ein Interesse an der Entwicklung seines Unternehmens haben. Die Deutsche Bahn AG und ihre Töchter gehören der Bundesrepublik Deutschland. Die Regierung und das Parlament sind damit neben dem Vorstand und dem Aufsichtsrat für diese Unternehmen zuständig. Schon eine kluge Verkehrspolitik wäre in den vergangenen Jahren sicher sehr hilfreich gewesen und hätte die heutige Situation sicher verhindern können.

Wenn Sie selber bei DB Cargo eingreifen könnten, welche Maßnahmen würden Sie als erstes ergreifen?

Vorstand komplett auswechseln
Aufsichtsrat auf der Kapitalseite durch Fachleute besetzen
Verkauf von DB Schenker stoppen
Erarbeitung eines neuen Geschäftsmodells mit Integration von DB Schenker

Glauben Sie persönlich noch an eine Zukunft für DB Cargo als Flaggschiff des europäischen Güterverkehrs?

Ja, DB Cargo kann auch zukünftig an der Spitze in Europa bleiben. Dazu muss jetzt eine echte Transformation stattfinden, die sich an den Bedürfnissen der Kunden unter Nutzung aller technischen Möglichkeiten ausrichtet. Alle Kolleginnen und Kollegen müssen dafür begeistert werden. Im Jahr 2020 wurden insgesamt 654,6 Milliarden Tonnenkilometer zurückgelegt. Der Güterverkehr ist und bleibt eine Wachstumsbranche.

Haben Sie eine persönliche Botschaft, die Sie den Mitarbeitern von DB Cargo mitgeben möchten?

Bleibt solidarisch zusammen und wachsam. Schützt gemeinsam eure Existenz, indem ihr eure Bahn schützt!

Letzte Frage: Können Sie den Ruhestand genießen?

Ich genieße das Leben und hoffe, dass die Ruhe so bald nicht eintreten wird.

Vielen Dank für das Interview.

 

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