Ein Eisenbahn-Porträt mit Mark Benecke

Ein Eisenbahn-Porträt mit Mark Benecke

Hallo Herr Benecke,

vielen Dank, dass Sie sich für ein Interview bereit erklärt haben. Wir sind ständig auf der Suche nach spannenden Persönlichkeiten und da wurden wir auf Sie aufmerksam. Dr. Mark Benecke, wahrscheinlich der bekannteste Forensiker Deutschlands, ist nicht nur für seine ruhige und erklärungsreiche Präsenz in verschiedenen Kriminalfällen bekannt, sondern auch als begeisterter Bahnfahrer.

 

1.Name?

Dr. Mark Benecke

2. Geburtsdatum?

1970

3. Beruf/Berufslaufbahn?

Öffentliche bestellter und vereidigter Sachverständiger für biologische Spuren (meist von Verbrechens-Tatorten). Zuvor habe ich Biologie studiert, bin dann ans Institut für Rechtsmedizin gewechselt — beides in Köln — und habe dort als Biologe promoviert, mit Zusatzprüfungen in Anatomie, Giftkunde und gerichtlicher Medizin. Uff! Ich habe zwischendurch in mehreren Ländern die jeweils ersten Labore für genetische Fingerabdrücke aufgebaut (Philippinen, Vietnam) und in New York (Manhattan) beim OCME gearbeitet, dem Office of Chief Medical Examiner.

4. Viele Ihrer Beiträge stehen im Zusammenhang mit der Eisenbahn. Wann begann Ihre Begeisterung dafür?

Vermutlich als Kind gab es in Köln auf einem Spielplatz eine alte Dampflok und ein Kinderbuch, das auch von einem dort so genannten Lokomotivführer handelte. Wir sind auch zu meiner einen Oma hin und wieder im D-Zug, zur anderen im IC gefahren, das fand ich immer schön. Bahnhöfe mag ich auch, es sind oft Orte, wo es Läden gibt, die sonst oft nicht mehr geöffnet haben, und wo ich hin und weg kann.

5. Was war Ihre schönste Erfahrung im Zusammenhang mit der Eisenbahn?

Die Rheinstrecke an der Loreley entlang ist immer toll, Nacht-Züge liebe ich, auf dem Brocken war ich mal im Nebel und Schnee und die alten Reichsbahn-Wagen nach Rumänien, die noch lange fuhren und ein „Destinationskanne“-Fach auf der Toilette sowie einen Koch, der wie selbstverständliche grundsätzlich alles frisch geschnibbelt und gekocht hat hatten, fand ich eindrucksvoll. Ich mag Überraschungen wie den Bahnhof Antwerpen, von dem ich nicht wusste, wie schön er ist.

Derzeit hoffe ich, dass Stuttgart 21 eine schöne Erfahrung werden wird. Ach ja, und die jetzt gerade verschwindenden Obergadenfenster an den Hauptbahnhofs-Bahnseiten in Stuttgart und Duisburg fand ich auch eindrucksvoll.

Neulich hat uns ein französischer „Schaffner“ die Fahrt gerettet, weil wir im CERN (Teilchenbeschleuniger) gearbeitet hatten und schnell noch mal nach Chamonix wollten. Das war zeitlich fast unmöglich, wir hatten nur ein paar Stunden, aber ich dachte, wenn wir es jetzt nicht versuchen, werden wir es nie mehr schaffen. Der nette Zugbegleiter hat uns am Umsteigebahnhof ausnahmsweise „einfach so“ in den Zug springen lassen und wir durften bei ihm drinnen bezahlen. Ohne das hätten wir es nicht geschafft, und erst hinterher haben wir bemerkt, dass wir — ohne jede Ausrüstung, Zahnbürste, Socken — andernfalls zwar noch hoch zum Bahnhof auf dem Berg, aber nicht mehr heruntergekommen wären. Danke an den namenlosen Bahn-Mitarbeiter mit engelhafter Güte, echt.

6. Was ist das Kurioseste, das Sie bisher bei einer Eisenbahnreise erlebt haben?

Neben der genannten Destinationskanne vielleicht die neuerdings beobachtete Gewohnheit, dass junge Frauen mit langen Haaren den Wassertank der Dusche im Nachtzug leer duschen, um mit perfekt gewaschenen Haaren anzukommen. Und die früher vorhandenen Liegen für das Personal im Flur der Nacht-Züge nach Rumänien. Ich habe darin zwar nie einen der Aufseher gesehen, da diese lieber mit dem Koch im Zug-Restaurant Țuică — ein Haarsträubender Pflaumen-Brand — tranken, aber es waren tolle Zug-Möbel.

Das lustigste Erlebnis war, dass ich in ‚mal in Polen mein iPhone auf einem Stuhl des Bordrestaurants gesperrt liegen gelassen hatte. Die polnische Finderin knackte es, schrieb mich per E-mail an und sendete es mir dann zu. Unglaublich, weil erstens Wertsachen in der polnischen Post oft verschwinden und zweitens wusste ich nicht, dass (damals) iPhones überhaupt zu hacken waren. (Ich habe mich großzügig bedankt, Ehrensache.)

Die damals von uns noch so genannte „Bahnpolizei“ hatte vermutlich auch ‚mal etwas zu lachen, als ich ein eine Flasche mit verdünntem Sperma für eine Versuchs-Serie (mit Etikett) in Mannheim in einer Tüte unten vor dem dortigen Teeladen vergessen hatte. Die Kiste samt Flasche landete tatsächlich in Wuppertal in der Fund-Station und ich konnte sie dann dort abholen.

Abgefahren war auch die Haltestelle „Tropical Islands“ (Brand), die bis vor kurzem aus halb verfallenen Backstein-Gebäuden im Nichts bestand. Eines meiner beliebtesten Fotomotive aus dem oberen Stockwerk des Doppelstock-Zuges.

7. Welches war Ihre unangenehmste Erfahrung bei der Eisenbahn?

Eine Zeit lang fuhren in der ehemaligen DDR offenbar zuvor militärisch ausgebildete und „verwendete“ ältere Zugbegleiter mit. Diese waren manchmal unangenehm, harsch und sehr unfreundlich. Das waren aber völlig vereinzelte Ausnahmen. Ich nehme an, dass diese Menschen unglücklich waren.

Sehr unangenehm finde ich, dass die DB teils Leder für Sitze verwendet, obwohl es andere, sehr feste Stoffe gäbe. Hier lässt die Zentrale nicht mit sich reden und behauptet, die Kundinnen und Kunden wollten das so.

Ich verstehe auch nicht so ganz, dass Zugbegleiterinnen und -Begleiter und Sicherheitspersonal der Bahnhöfe vor der Tür des Zuges manchmal rauchen, wo es nicht erlaubt ist. Und ich finde es eigentümlich, dass die Mitarbeitenden auf Regionalstrecken öfter in der ersten Klasse alleine am Vierer-Tisch sitzen. Unangenehm ist das aber nicht, nur ein wenig rätselhaft.

Unverzeihlich finde ich, dass wir nach einem Stellwerksbrand, der uns die Reise nach Brüssel plötzlich abschnitt, null Unterstützung vor Ort erhielten. Am Gleis wurden nur Märchen erzählt. Ich musste den Eurostar ab Brüssel zweimal neu buchen, was am selben Tag natürlich sehr teuer war. Trotz späterer Hilfe unserer Lieblings-Mitarbeiterin im Reisezentrum in Köln haben wir nie einen Cent Erstattung erhalten.

8. Bevorzugen Sie ältere oder moderne Bahntechnik?

Ich mag das regelmäßige Gerappel der alten und teils auch der neuen Nachtzüge, die stabilen Schalter und Hebel, die alten, durchsichtigen, farbigen Druckknöpfe mit Lichtern darin, die teils sehr gute Aufteilung der alten Zug-Toiletten und deren alte Spiegel. Auch das aus Metall stabil gebaute Seifen-System mit den Drehrädern von Sapor finde ich sparsam und prima, wir verwenden es auch im Labor.

9. Wie beurteilen Sie die Deutsche Bahn aus der Perspektive eines Außenstehenden?

So langsam fühle ich mich nicht mehr als Außenstehender, nachdem ich mit sehr vielen tollen Mitarbeitenden schon Selfies gemacht habe ☺️

Schwierig finde ich es, dass meine Frau und ich massenhaft unsere Reservierungen ohne Erstattungsmöglichkeit verlieren, wenn gerade Zug-Chaos ist.

Mir tun seit drei Jahren die Menschen aus dem Ausland richtig leid, die gelesen oder gehört hatten, dass die Bahn pünktlich sei, aber reihenweise ihre Anschlüsse und Reisen verpassen. Vor wenigen Tagen sagte ein Engländer ganz höflich und ruhig zu den Mitreisenden im ICE: »I thought the German train system was highly efficient. What happened?«

Insgesamt ist es ein tolles System, mit dem wir auch in viele kleine Städte gelangen. Die Anzeigen und die Bahnhöfe an sich sind viel besser geworden als noch vor wenigen Jahren. Es tut sich spürbar etwas, das finde ich angenehm. Wir mussten aber unsere Reiseplanung vor zwei Jahren komplett umstellen und planen seither für jeden Umstieg immer mindestens 45 Minuten ein und rechnen nochmal zwei Stunden Puffer drauf. Sehr oft reisen wir auch am Vortag an. Anders wäre es unmöglich, unsere Termine noch wahrzunehmen. Das war schon eine krasse Umstellung.

10. In Ihren Artikeln berichten Sie auch über ausländische Eisenbahnen. Spüren Sie einen Unterschied zwischen diesen und den Eisenbahnen in Deutschland?

Na klar, die Schweizerinnen und Schweizer lachen sich kaputt über unsere — aus ihrer Sicht — Unpünktlichkeit und die Österreicherinnen und Österreicher haben einen etwas geschmeidigen Schwung bei der Digitalisierung gehabt. Beispielsweise erhielt ich für Corona-Ausfälle von der ÖBB ohne jede Diskussion digitale Gutscheine, die bis 2030 gültig sind. In Tschechien und Polen gab und gibt es die tollen Speisewagen und in Österreich lassen sie sich oft kleine, verrückte „Schmankerl“ einfallen. Dafür gibt es neuerdings viele pflanzliche Speisen in deutschen Bord-Restaurants.

Die alten Thalys in Frankreich waren auch seltsam: Teils sehr schick gebaut, aber dann gnadenlos runter gerockt und aus heutiger Sicht etwas niedrig und gedrückt.

Es gibt sehr viele Unterschiede im Bahnmaterial, der ganzen Idee des Bahnfahrens, der neuerdings in Deutschland durchschlagenden Digitalisierung, der Einrichtung und der Bahnhöfe als solche. Und es gibt Züge, die aus der Vergangenheit wiederkommen, etwa der „Zug für Mitteldeutschland“ VT 18.16. Ich bin gespannt, was darin zu spüren sein wird.

11. Welche ist die längste Zugstrecke, die Sie je bereist haben, und wie lange dauerte diese Reise?

Gefühlt sind es die leeren, einsamen Nächte nach Stürmen, Unterspülungen und dergleichen, wo das Personal regelmäßig spurlos verschwindet, angeblich keine Hotels zur Verfügung stehen (komischerweise lassen sie sich aber über Hotelseiten buchen) und dann die „Schlaf-ICs“ am Gleis stehen. Niemand weiss irgendetwas, niemand ist ansprechbar. Raum und Zeit lösen sich dabei ein wenig auf, weil es überhaupt keine Informationen gibt, die meine Frau und ich weiter leiten können. Zuletzt so geschehen in Hagen, wir landeten in einem Hotelzimmer, das aussah wie aus dem Jahr 1950, aber edel und ordentlich.

Abgesehen davon mag ich lange Reisen, ganz toll beispielsweise der IC von Dresden nach Stuttgart — da gibt es viel zu staunen beim Blick aus dem Fenster, und Kaffee ist auch verfügbar.

12. Welcher Bahnhof ist Ihr Favorit?

Die mit vielen guten Läden, also Köln, Hannover, Basel, Leipzig und Berlin. In Köln kaufe ich im Bioladen immer eingelegte Gurken, das Personal kennt mich schon. Schade ist, dass es meistens keine Post- und DHL-Schalter mehr gibt. München ist auch gut, im Moment aber sehr „verbastelt“ und chaotisch, zudem haben die Bahnhofs-Tauben keinen Unterschlupf mehr und müssen auf dem Bauzaun leben, wie in Stuttgart. Das ist wirklich traurig anzuschauen.

Budapest Keleti pu fand ich immer fantastisch wegen des Bahnhofs-Restaurants, das wie aus der Zeit gefallen ist oder war, das gibt es übrigens auch in Oldenburg, wenn ich mich recht erinnere.

In Köthen gab es tolle, alte Bahnsteig-Bänke, die aber leider von irgendwem teils abgefackelt wurden. Das Licht und die alten, riesigen Schilder in Dresden-Neustadt sind auch knorke. Das gilt auch für die schöne Bahnhofs-Halle in Görlitz.

Meine Frau findet Frankfurt/Main gut, mir ist er aber ein bisschen zu lieblos. In den DB-Lounges gab es letzten Sommer Oatly-Softeis, das war super.“Liminal“, wie es heute heißt, also irgendwie wie in einem schaurigen Computerspiel, ist Plauen oberer Bahnhof. Dort sind kaum noch Menschen, wie auch in Zwickau, aber es sind eigentlich tolle Bahnhofsgebäuden.

Unvergesslich ist für mich der Blick auf den verschneiten Bahnhof Helsinki mit den fantastischen, riesigen Figuren davor, die wie aus dem Herrn der Ringe gestiegen aussehen. Und Grand Central — kennt zwar fast jede und fast jeder von Postkarten und Postern, aber es ist schon irre, dort zu stehen. Für mich einer der unwirtlichsten Orte, weil er so bekannt ist, dass mein Gehirn immer nicht ganz fassen kann, dass das jetzt gerade echt ist.

13. Welche Bahnstrecke nennen Sie Ihren Favoriten?

Es ist natürlich wunderschön, durch Bayern zu zuckeln, das „Bahnland“ hat allerdings den Nachteil, dass man teils dauernd umsteigen muss. Von Rosenheim oder München aus nach Österreich ist es auch toll, ich liebe Berge und habe immer ein Fernglas dabei, was die Sitznachbarinnen und Nachbarn im Zug manchmal seltsam finden. Aber wie geschrieben, auch die Rheinstrecke und der IC Dresden-Stuttgart sind Hits. Alle Nachtzüge auch.

Interessant ist es auch, von Hochiminh-Stadt nach Nha Trang zu fahren, weil es da — wie in Wernigerode — erstmal durch die Stadt geht, nah an den Häusern vorbei.

Schön ist es auch von Newark nach Manhattan. Da fährt eine echte Blechbüchse, keine Ahnung, durch was sie zusammen gehalten wird, aber der Ausblick ist schon irre: Durch die Industrie-Hafen-Landschaft, entlang an schönen, stabilen Brücken, dann erst in der Ferne Manhattan und nach Ausstieg oberhalb Penn Station dann die volle Packung New York. Oder man geht nach unten in die Subway (Metro), die ja im Grunde auch eine Eisenbahn ist und mit modernen europäischen U-Bahnen nicht so viel gemeinsam hat.

14. Welche Baureihe würden Sie als Ihren Favoriten bezeichnen?

Ich lasse mich immer überraschen, ich lebe sozusagen in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, wenn es um Zug- und Lok-Typen geht.

Natürlich liebe ich alle singenden „Loks“, also die österreichischen Siemens, aber ganz selten höre ich auch ICEs singen.

15. Waren Sie bereits einmal in einem Stellwerk?

Nein, aber ich lese die Stellwerks-Neuigkeiten der Zeitschrift der Severn Valley Railways immer aufmerksam durch. (Ich bin dort Lebenszeit-Mitglied.)

16. Welche zwei Berufe im Bahnsektor würden Sie wählen, wenn Sie müssten?

Tatsächlich am liebsten beruflich Reisender, also das, was ich auch jetzt bin. Da ich sowieso bis zu meinem Lebensende arbeiten muss, könnte das sogar in Erfüllung gehen.

17. Sie reisen oft mit der Fotografin Ines Azrael. Wie würden Sie Ihre gemeinsamen Bahnfahrten beschreiben? Wer von Ihnen reagiert empfindlicher auf Verspätungen?

Sie ist nicht ganz so gestresst, weil sie in einer Zeit zur Bahn gekommen ist, als es schon viele Verspätungen gab. Zudem prüft sie ständig die DB App und Google Maps und hat sich auch in die Codes reingefuchst, aus denen die Anzeigetafeln an den Bahnsteigen ihre Daten beziehen. Das gibt ihr also das Gefühl, zumindest informiert zu sein.

Mittlerweile habe ich aber aufgegeben, was Verspätungen angeht, das wird in meiner Lebenszeit nix mehr. Ich arbeite, wie oben geschildert, drumrum, und rege mich nicht mehr so viel auf. Mein Schlusssatz im DB-Podcast lautet glaube ich auch: „Ich glaube immer daran, dass der nächste Zug pünktlich ist.“

18. Erinnern Sie sich, wo Sie am Tag des Unglücks in Eschede waren?

Nein, aber ich erinnere mich, in welchem Zug ich beim Einsturz der World Trade Center war. Ich war der einzige, der per Handy live informiert wurde und niemand im Zug sonst telefonierte oder hatte Internet. Ich stand zwischen zwei Wagen, um die Reisenden nicht mit Telefonie zu nerven und wusste nicht, was ich machen soll — laut sagen, dass gerade zwei Hochhäuser in New York durch Flugzeuge zum Einsturz gebracht wurden beziehungsweise beim ersten Telefonat „nur“ brannten? Am Abend habe ich einen Vortrag in einer Schule gehalten und dachte nur: „Okay, wenn ich jetzt hier auf der Strecke hängen bleibe, dann wäre etwas noch Krasseres als in Manhattan passiert.“

Ich kenne einige Polizistinnen und Feuerwehrleute, die (nicht dieselben) in Eschede und Lathen (Transrapid) dabei waren. Mehrere von ihnen wurden innerlich schwer mitgenommen.

19. Sollte Ihre Partei bei den Europawahlen über 2,8 Millionen Stimmen erhalten und Sie auf Listenplatz Nummer 6 ins EU-Parlament einziehen, welche Ziele würden Sie dort für den Eisenbahnsektor verfolgen?

Das könnte ich in langer Form beantworten, aber ich mache es kurz:

Richtig viel Geld in die Hand nehmen, um alle Wünsche der Eisenbahnerinnen und Eisenbahner, die dem Personen-Verkehr zugute kommen, umzusetzen. Von Güterverkehr verstehe ich nichts, daher erwähne ich nur den Personenverkehr.

20. Die Bahn investiert in diverse Naturschutzprojekte. Sind Sie mit diesen Investitionen zufrieden, insbesondere als Verfechter des Umwelt- und Artenschutzes?

Naja, es gibt ja viele Ausgleichs-Zahlungen in „Projekte“, so dass der Personenverkehr klimaneutral ist. Ob das wirklich alles stimmt, würde ich mal eine unabhängige Prüfungs-Firma testen lassen, denn im Klima-Ausgleichs-Bereich gibt es auch Quatsch-Projekte.

Ich staune auch öfters, dass es an Bahndämmen kaum Blumen gibt — ob da Pflanzenvernichtungsmittel eine Rolle spielen? Hust hust. Die Ledersitze sind auch das Gegenteil von umweltfreundlich.

Sehr gut finde ich jedenfalls den neuerdings merklichen Schwung hin zu pflanzlichen Speisen im Bord-Restaurant.

Insgesamt schlägt die Bahn meiner Auffassung nach aber den privaten Autoverkehr meist um Längen, und das ist wohl der größte Umweltverdienst dieses Verkehrsmittels.

21. Darf man Sie im Bahnhof oder auf dem Bahnsteig ansprechen oder um ein Autogramm bitten, ohne sich schlecht fühlen zu müssen, weil sie gefühlt viel zu tun haben?

Ich signiere nur Bücher, aber ich mache mit allen Selfies und stelle sie bei Facebook und Insta ins Netz. Wenn dann noch Zeit ist, können sich die Fotografierten auch selbst markieren. Mein allererster Instagram-Eintrag ist ein Foto mit einer Person, die ich zuvor nie gesehen hatte, und ich finde, sie hat mir Glück und Freude gebracht.

22. Wie bewerten Sie das gastronomische Angebot der Deutschen Bahn? Gut oder Wut?

Ist echt okay. Es nerven halt die „Rumlungerer“ an den Tischen, die vor einem Espresso sitzen (kein Problem) und je nach Strecke wirklich alles stundenlang blockieren (Problem), obwohl es voll ist. Da ich die Rumlungerer nicht vertreibe, esse ich dann halt nichts, weil ich nicht um einen Platz kämpfen möchte.

Unerklärlich ist mir — wie wohl alle Geschäftsreisenden — der Wegfall des früheren Bord-Frühstücks. Wenn’s leer ist, ist ein Kaffee oder Tee mit Zeitung oder Buch (ja, ich bin alt) im Bord-Restaurant eine feine Sache.

Ich erinnere mich noch an den ernsthaft verzweifelten Mitarbeiter im IC- oder IR-Bordbistro, der mit sehr ernst erklärte, dass nach dem am folgenden Tag in Kraft tretenden Rauch-Verbot niemand (sage er wörtlich: niemand) mehr ins Bordrestaurant oder -Bistro gehen würde. Das Gegenteil war der Fall: Von Stund an (ab dem Folge-Tag) war es angenehmer und kein bisschen „niemandig“.

23. Welchen Rat würden Sie zukünftigen Politikern geben, die sich mit Bahnangelegenheiten befassen werden?

Ich gebe keine Ratschläge, aber es hilft sicher, sehr viel Bahn zu fahren und selbst zu erleben, wie es ist, wenn — wie vor wenigen Tagen — drei von vier Toiletten im ICE durch Toiletten-Papier und Urin auch technisch unbenutzbar wörtlich in Unrat versinken.

Oder wie es ist, wenn niemand mehr den Zug begleitet, weil kein Personal mehr da ist, und einige dann machen, was sie wollen. Oder wie jetzt gerade, wo ein gesamter ICE nach Notarzteinsatz (gemeint ist: Selbst-Tötung) sowieso verspätet ist und dann in Hannover hängen bleibt und alle aussteigen müssen, weil es keine einzige Ablöse für den Zugbegleiter gibt (ICE 653, 9. Mai 2024) . Verspätung für alle, die nach Berlin wollen: Mindestens zwei Stunden, „weil da auch noch eine kleine Umleitung kommt, ich sage ihnen ehrlich, wie es ist.“ Das ist Alltag für uns geschäftlich Dauerreisende.

Hier wäre mit vergleichsweise wenig Geld, im Vergleich zu sonst verwendeten Summen, sofort vieles angenehmer lösbar.

Sympathiefragen:

*Herr Benecke hat ein paar Fragen geschickt auf die Eisenbahnthematik bezogen, ganz in typischer Benecke-Manier. 🙂

1. Wie sehen Sie das: Ist die Erde eine Kugel oder eine Scheibe?

Aus dem Zug sieht sie wie eine Scheibe aus 😅

2. Ist Ihnen schon einmal das Essen angebrannt?

Im Zug noch nie 😇

3.Welcher Sportverein hat bei Ihnen die Nase vorn?

Ich kenne ehrlich gesagt nur meine alte Schülerinnen- und Schüler-Ruder-Riege des Humboldt-Gymnasiums in Köln, deren Mitglied ich war. Daher wähle ich diese, denn von Sport habe ich echt keinen Schimmer. Gestern hatte ich mal wieder meinen Harry Potter-Hufflepuff-Schal an, da wurde ich komisch angeschaut, weil er den Farben eines Fussballclubs ähnelt (gelg-schwarz), vielleicht hat das etwas zu bedeuten, haha.

4. Wenn Sie drei nicht-lebendige Gegenstände auf eine einsame Insel mitnehmen könnten, welche wären das?

Zwei Swisstools (eine Art sehr stabiles Schweizer Taschenmesser) und ein Schleifstein.

5. Planen Sie, einmal mit der Transsibirischen Eisenbahn zu reisen?

Unklar, ich habe mir zuletzt mal einige Angebote angeschaut, das war mit ein wenig zu steif. Ich erkunde als nächstes vermutlich erst mal die baden-württembergischen Museumsbahnen. Und ich bin bald in Kidderminster, dort wird eine Teestunde im Museum-Zug angeboten. Yorkshire Tea ist natürlich der beste, und es gibt alle Speisen auch pflanzlich, was beispielsweise bei der sonst fantastischen HSB zumindest im letzten Jahr noch nicht möglich war.

Die persönlichen Fragen des Eisenbahners:

1. Gewalttaten sind eine traurige Realität. Als Experte bitten wir Sie um Rat: Wie sollte man sich verhalten, wenn man körperlich angegriffen wird? Was kann man unternehmen, um die Aufklärungsarbeit der Ermittler zu unterstützen? Ist es sinnvoll, den Angreifer zu kratzen, um DNA-Beweise unter den Fingernägeln zu sichern?

In der Bahn oft schwierig. Ich selbst gehe meist weg, sofern es im Zug während der Fahrt geht und rufe die Polizei. Ich war schon ‚mal der einzige, der in einem Zug (S-Bahn) den Angriff eines Jugendlichen gegen einen Kontrolleur der S-Bahn ernst nahm. Dieser wurde mit den sehr laut und ernst vorgetragenen Worten bedroht, dass der Redende dem Kontrolleur gleich den Hals durchschneiden werde, und ich konnte nicht unterscheiden, ob das ernst oder als Redewendung gemeint war. Für mich klang es todernst. Hier hat die Polizei sehr gut gehandelt, ich blieb am Handy und konnte so von innen berichten, was von außen zu wissen nötig war.

Hinweise auf DNA-Spuren werden teils nicht ernst genommen, auch das habe ich schon selbst erlebt. Ich hatte gesehen, wie ein Täter aus einer Bierdose getrunken hat, was sowohl Hautlinien (Fingerabdrücke) als auch genetische Spuren liefert. Wurde aber angesichts der begangenen Körperverletzung als unnötig angesehen, obwohl die Täter an der Haltestelle abgehauen waren. Daher: Wenn es geht, helfen. Wenn es nicht geht: Weggehen und Polizei anrufen. Ob diese dann Spuren sichert oder nicht, ist manchmal dem Zufall überlassen. Hinweise sollte aber jede und jeder geben, egal, ob sie umgesetzt werden oder nicht.

2. Sie unterstützen PETA und stehen Zoos kritisch gegenüber. Wie reagieren Sie auf das Argument, dass Zoos es Menschen mit geringem Einkommen ermöglichen, ohne weit zu reisen, exotische Tiere zu erleben? Kann man in diesem Punkt einen Kompromiss finden und die teilweise miserablen Bedingungen der Tierhaltung tolerieren? Bitte berücksichtigen Sie, dass viele Menschen die Welt bereisen und alles sehen möchten, dies aber oft an finanziellen Grenzen scheitert.

Ich mag Amseln, Marienkäfer, Storchenschnäbel, Pusteblumen, Tauben, Klee, Zimbelkraut, Veilchen, Meisen und Gänseblümchen. Diese fotografiere ich auch oft an oder auf Bahnhöfen, siehe mein Profil bei iNaturalist. Wer aber das Bedürfnis hat, tropische Tiere live und persönlich zu sehen, anstatt auf Youtube, sollte machen, was er oder sie will. Mir tun die Tiere im Zoo leid. Wer möchte so leben müssen?

Ihre berufliche Tätigkeit hat Sie oft mit Todesfällen konfrontiert, einige Ihrer Fälle wurden sogar im Fernsehen ausgestrahlt. Wie verarbeiten Sie emotional belastende Fälle? Haben Sie eine Technik entwickelt, um diese Gedanken zu bewältigen, oder nehmen Sie alle Fälle ohne emotionale Beteiligung auf?

Ich freue mich, dass ich durch die Spuren den Fall weg von Gefühlen hin zur messbaren Wahrheit führen kann. Daraus können die anderen dann Vorbeugungsprogramme bauen, das finde ich sehr erleichternd: Es verhindert künftige Taten. Gefühle dürfen ruhig auftreten, aber sie sollten nicht die Bewertung des Fallen unterwandern: Ohne Spuren fehlt das Grundgerüst, der Keller, und dann können Gefühle schnell in falsche Richtungen führen. Rache beispielsweise hilft und nicht dabei, den Täter oder die Täterin zu verstehen, und dann können wir auch ähnliche, künftige Taten nicht verhindern.

Zusatz-Frage:

Was halten Sie vom Deutschlandticket?

War die Hölle, als im Sommer 2023 die Züge viel zu kurz, also zu eng, waren. Aber — und das war toll — alle Fahrgäste haben zusammen gearbeitet, sich bei brüllender Hitze ruhig hingestellt, es gab sogar weniger Stress als in anderen Zügen. Das war unerwartet und eindrucksvoll. Insgesamt ist das Ticket eine sehr coole Sache. Niemand hat mehr eine Ausrede, die Bahn nicht zu nutzen. Zack!

Vielen Dank für Ihre Zeit und die Einblicke, Herr Dr. Benecke. Quelle: https://home.benecke.com/

 

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